Sechs Wochen um: wie man die verbliebene Zeit bis zum Auszug der Welpen bestmöglich nutzt – und warum dabei tatsächlich jeder Tag zählt.
I figure life’s a gift and I don’t intend on wasting it.
You don’t know what hand you’re gonna get dealt next.
You learn to take a life as it comes at you …
to make each day count.
Jack Dawson, Titanic (1997)
»Die Zeit rennt«, durchfährt es mich ganz plötzlich, als ich die Welpen am Abend auf die Waage setze. Die sechs Vordrucke, auf denen ich am Tag der Geburt die Uhrzeit, das Gewicht und Geschlecht eingetragen und mit einer rudimentären Skizze versucht habe, die Zeichnung eines jeden Welpen zu schraffieren, lassen nur noch wenig Platz: fast zwei Drittel der feinen, wochenweise aufgeteilten Linien haben sich schon gefüllt. »Drei Wochen noch«, flüstere ich dem Welpen zu, der sich gerade anschickt, alleine aus der wackligen Waagschale zu klettern. Wie es der Zufall will, wird eben jener Welpe einer der ersten sein, der uns zum Ende der neunten Lebenswoche verlässt. Für die Menschen, die auf ihn warten, sind diese drei Wochen eine kleine Ewigkeit. Für mich aber – und wohl für jeden Züchter – sind sie nur eines: viel zu schnell vorbei. »Ach, Jack«, seufze ich vielleicht auch deshalb, als ich den Welpen mit einer Hand an der Brust auffange und behutsam die zweite unter seinen Körper schiebe, »hast du nicht gesagt, dass jeder Tag zählt?
Ob der besagte Welpe nun, wie einer seiner beiden Namensvettern, einen Eisberg rammen, oder ob er es eher dem zweiten gleichtun und mit der Black Pearl in den Sonnenuntergang segeln wird, sei einmal dahingestellt. Wohin ihn seine erste Reise führen wird, steht derweil aber schon fest: im Laufe der vergangenen Woche habe ich nicht nur in seinem Fall entschieden, bei wem er sein Zuhause finden und wer ihm einen Namen geben wird. Während die zukünftigen Besitzer von Jack, Levi und den anderen also ungeduldig die Tage bis zur Abholung zählen, bleibt mir nichts anderes übrig, als die verbliebene Zeit bestmöglich zu nutzen: das bisschen Wehmut herunterzuschlucken und mich auf das zu konzentrieren, was zählt. Auf jeden Tag, so wie es einer der beiden Jacks so treffend an Bord der Titanic gesagt hat.
Die letzten Tage habe ich deshalb dazu genutzt, mich einzeln mit jedem der Welpen auseinanderzusetzen, und auf den gemeinsamen Spaziergängen durch unseren Garten etwas mehr über die Persönlichkeitsentwicklung – die Orientierung und Aufmerksamkeit, das Selbstbewusstsein und die Selbständigkeit – in Erfahrung zu bringen. Auch der zweite Ausflug, den wir am Freitag mit den Welpen unternommen haben, folgte der gleichen Prämisse. Wie selbstsicher agiert der Welpe auf fremdem Terrain? Wie schnell gelingt es ihm sich zu orientieren? Folgt er mir nach, wenn ich nach ihm rufe – oder blendet er mich aus und beginnt, das unbekannte Gelände auf eigene Faust zu erkunden? Wo muss und wo kann ich als Mensch ansetzen, um den Welpen in seiner Entwicklung zu unterstützen? Wie bereit ist er schon für die Welt, die auf ihn wartet?
Neben all diesen objektiven Beobachtungen erfüllen die Tagesaktivitäten aber noch einen zweiten, vielleicht sogar gewichtigeren Zweck. In der Arbeit mit jedem einzelnen Welpen wird nämlich auch der Grundstein für die Bindungsarbeit gelegt. Was mich selbst anbelangt, hat das schon einmal ganz hervorragend funktioniert, denn jeder der sechs Welpen hat sich bereits einen festen Platz in meinem Herzen erobert. »Wir bleiben einfach so, für immer«, denke ich deshalb am Freitagabend, als sich die Sonne über dem Hundeplatz senkt, »in meinem Herzen seid ihr sicher und nie weiter, als nur einen Herzschlag entfernt«. Auch dann, wenn unser Schiff in drei Wochen unausweichlich sinken muss.
We’ll stay forever this way, you are save in my heart
and my heart will go on and on.
Celine Dion (1997)
© Johannes Willwacher