Keine leichte Geburt: am 19. Juli wurde unser I-Wurf geboren. Ein erster Blick auf die neugeborenen Welpen – und warum eine Geburt immer unberechenbar bleibt.
One of these mornings
you gonna rise up singing.
Mahalia Jackson (1956)
Dienstag, 19. Juli, 11.30 Uhr
Zweimal muss die Tierärztin den neugeborenen Welpen zum Trinken anlegen, bis ein glückliches Schmatzen erahnen lässt, dass es ihr gelungen ist. Zufrieden streift sie sich die Hände an dem grünen Kittel ab, zieht die Maske unter das Kinn und richtet sich auf. »Die wenigsten Geburten, die wir in der Tierklinik begleiten, können noch auf natürlichem Wege geboren werden«, sagt sie und schlingt einen der nummerierten Klebestreifen, die sie zuvor beschriftet und an die Tischkante geheftet hat, um die Rute des trinkenden Welpen, »zumeist ist ein Kaiserschnitt von Nöten und bei einem Großteil der Geburten treten darüber hinaus noch weitere Komplikationen auf, die das Leben der Hündin oder das der Welpen gefährden können«. Zärtlich streichelt sie Heidi über den Kopf, der nach der Geburt des vierten Welpen die Erschöpfung deutlich anzusehen ist, dann wendet sie sich wieder uns zu. »Ist eine Geburt denn überhaupt noch etwas Besonderes, wenn man sie tagtäglich erlebt?«, will Dirk wissen, der auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes vor dem halb geöffneten Fenster sitzt. Die Tierärztin spannt nachdenklich die Mundwinkel, dann schüttelt sie entschieden den Kopf. »Besonders nicht«, sagt sie und lehnt sich gegen die weiß gekachelte Wand, »dazu erlebt man im Klinikalltag einfach viel zu viele Geburten«. Sie möchte gerade dazu ansetzen, auszuführen, dass dennoch jede Geburt eine Herausforderung bleibt, als ich ihr ins Wort falle: »Eine Geburt bleibt immer unberechenbar«. Sie nickt. Wir beide nicken. Und genauso bleibt es auch.
Dienstag, 19. Juli, 2 bis 9 Uhr
Nachdem gegen zwei Uhr in der Nacht der Blasensprung erfolgt und das erste Fruchtwasser ausgetreten war, hatten wir vergeblich zwei Stunden damit zugebracht, auf das Einsetzen der Wehen und die Geburt des ersten Welpen zu warten. »Das Lehrbuch gibt die Dauer zwar mit durchschnittlich zwei bis drei Stunden an, die bis zur Geburt des ersten Welpen vergehen dürfen, in der Praxis habe ich aber oft genug erlebt, dass auch drei bis vier Stunden vergehen können, ohne das schwere Komplikationen zu erwarten sind«, hatte unser Tierarzt uns daraufhin telefonisch mitgeteilt, »wenn sich bis halb sechs noch immer nichts getan hat oder sich der Allgemeinzustand der Hündin drastisch verschlechtert, würde ich empfehlen, die Hündin in der Klinik vorzustellen«. Weil sich auch in den darauffolgenden Stunden nichts tat, entschieden wir, die gut einstündige Fahrt nach Gießen auf uns zu nehmen und abklären zu lassen, warum die Geburt ins Stocken geraten war. »Das wird ein Kaiserschnitt, ganz sicher«, sagte ich, als wir schließlich im Auto saßen.
»Die Herztöne der Welpen sind kräftig, im Röntgenbild hat sich keine anormale Lage gezeigt und auch der Kalziumspiegel im Blut der Hündin liegt im Referenzbereich«, gab der Tierarzt an, der uns aufgenommen und die ersten Untersuchungen durchgeführt hatte, »meiner Meinung nach besteht kein akuter Handlungsbedarf, ich würde ihnen aber empfehlen, zur Beobachtung hier zu bleiben«. Gut eine Stunde verbrachten wir daraufhin in einem abgesonderten Raum, in dem es trotz der schon am frühen Morgen bereits hochsommerlichen Temperaturen noch angenehm kühl war, und sahen unterschiedlichste Tierärzte kommen und gehen. Kurz nachdem der Dienstwechsel erfolgt war, begann Heidi schließlich zu pressen. Eine halbe Stunde später hielten wir den erstgeborenen Welpen – eine schwarz-weiße Hündin, die sich gleich lautstark ins Leben krähte – in den Händen.
Dienstag, 19. Juli, 12 Uhr
Weil zwischen den Geburten der ersten vier Welpen immer mehr als sechzig Minuten vergangen sind, wird nach der Geburt des vierten Welpen in Absprache mit der Tierärztin entschieden, die Geburt der noch ausstehenden Welpen zuhause stattfinden zu lassen. Nachdem ein letzter Ultraschall bestätigt hat, dass die Herztöne der ungeborenen Welpen noch immer stark und gleichmäßig sind, machen wir uns also auf den Heimweg – Heidi in der Wanne im Kofferraum, die Welpen in einem Korb auf der Rückbank. Kaum, dass wir nach der knapp einstündigen Fahrt das Ortsschild passiert haben, höre ich ein Schmatzen aus dem Kofferraum. Den fünften Welpen – einen Rüden – nable ich deshalb noch in unserer Einfahrt gemeinsam mit Heidi ab. Nur einer von sechs Welpen wird am Ende in der heimischen Wurfkiste geboren.
Eine Geburt bleibt immer unberechenbar. Aber mit Glück auch das größte Glück.
Welpe No. 1 – 8.54 Uhr, Hündin, 385 Gramm
Welpe No. 2 – 9.15 Uhr, Hündin, 402 Gramm
Welpe No. 3 – 10.35 Uhr, Hündin, 350 Gramm
Welpe No. 4 – 11.25 Uhr, Rüde, 436 Gramm
Welpe No. 5 – 12.40 Uhr, Rüde, 404 Gramm
Welpe No. 6 – 14 Uhr, Rüde, 412 Gramm
Unser herzlichster Dank für die sachkundige Unterstützung und hervorragende Betreuung während der Geburt gilt dem Personal der Klinik für Geburtshilfe der Justus Liebig Universität Gießen, insbesondere Herrn Prof. Dr. Axel Wehrend sowie den Tierärztinnen Coco Froels und Maren Sievert.
© Johannes Willwacher