Keine leichte Geburt: am 19. Juli wurde unser I-Wurf geboren. Ein erster Blick auf die neugeborenen Welpen – und warum eine Geburt immer unberechenbar bleibt.

Dienstag, 19. Juli, 11.30 Uhr

Zwei­mal muss die Tier­ärz­tin den neu­ge­bo­re­nen Wel­pen zum Trin­ken anle­gen, bis ein glück­li­ches Schmat­zen erah­nen lässt, dass es ihr gelun­gen ist. Zufrie­den streift sie sich die Hän­de an dem grü­nen Kit­tel ab, zieht die Mas­ke unter das Kinn und rich­tet sich auf. »Die wenigs­ten Gebur­ten, die wir in der Tier­kli­nik beglei­ten, kön­nen noch auf natür­li­chem Wege gebo­ren wer­den«, sagt sie und schlingt einen der num­me­rier­ten Kle­be­strei­fen, die sie zuvor beschrif­tet und an die Tisch­kan­te gehef­tet hat, um die Rute des trin­ken­den Wel­pen, »zumeist ist ein Kai­ser­schnitt von Nöten und bei einem Groß­teil der Gebur­ten tre­ten dar­über hin­aus noch wei­te­re Kom­pli­ka­tio­nen auf, die das Leben der Hün­din oder das der Wel­pen gefähr­den kön­nen«. Zärt­lich strei­chelt sie Hei­di über den Kopf, der nach der Geburt des vier­ten Wel­pen die Erschöp­fung deut­lich anzu­se­hen ist, dann wen­det sie sich wie­der uns zu. »Ist eine Geburt denn über­haupt noch etwas Beson­de­res, wenn man sie tag­täg­lich erlebt?«, will Dirk wis­sen, der auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te des Rau­mes vor dem halb geöff­ne­ten Fens­ter sitzt. Die Tier­ärz­tin spannt nach­denk­lich die Mund­win­kel, dann schüt­telt sie ent­schie­den den Kopf. »Beson­ders nicht«, sagt sie und lehnt sich gegen die weiß geka­chel­te Wand, »dazu erlebt man im Kli­nik­all­tag ein­fach viel zu vie­le Gebur­ten«. Sie möch­te gera­de dazu anset­zen, aus­zu­füh­ren, dass den­noch jede Geburt eine Her­aus­for­de­rung bleibt, als ich ihr ins Wort fal­le: »Eine Geburt bleibt immer unbe­re­chen­bar«. Sie nickt. Wir bei­de nicken. Und genau­so bleibt es auch.

Neugeborener Border Collie Welpe
20|07|2022 – Wel­pe No. 2: Hündin

Dienstag, 19. Juli, 2 bis 9 Uhr

Nach­dem gegen zwei Uhr in der Nacht der Bla­sen­sprung erfolgt und das ers­te Frucht­was­ser aus­ge­tre­ten war, hat­ten wir ver­geb­lich zwei Stun­den damit zuge­bracht, auf das Ein­set­zen der Wehen und die Geburt des ers­ten Wel­pen zu war­ten. »Das Lehr­buch gibt die Dau­er zwar mit durch­schnitt­lich zwei bis drei Stun­den an, die bis zur Geburt des ers­ten Wel­pen ver­ge­hen dür­fen, in der Pra­xis habe ich aber oft genug erlebt, dass auch drei bis vier Stun­den ver­ge­hen kön­nen, ohne das schwe­re Kom­pli­ka­tio­nen zu erwar­ten sind«, hat­te unser Tier­arzt uns dar­auf­hin tele­fo­nisch mit­ge­teilt, »wenn sich bis halb sechs noch immer nichts getan hat oder sich der All­ge­mein­zu­stand der Hün­din dras­tisch ver­schlech­tert, wür­de ich emp­feh­len, die Hün­din in der Kli­nik vor­zu­stel­len«. Weil sich auch in den dar­auf­fol­gen­den Stun­den nichts tat, ent­schie­den wir, die gut ein­stün­di­ge Fahrt nach Gie­ßen auf uns zu neh­men und abklä­ren zu las­sen, war­um die Geburt ins Sto­cken gera­ten war. »Das wird ein Kai­ser­schnitt, ganz sicher«, sag­te ich, als wir schließ­lich im Auto saßen.

»Die Herz­tö­ne der Wel­pen sind kräf­tig, im Rönt­gen­bild hat sich kei­ne anor­ma­le Lage gezeigt und auch der Kal­zi­um­spie­gel im Blut der Hün­din liegt im Refe­renz­be­reich«, gab der Tier­arzt an, der uns auf­ge­nom­men und die ers­ten Unter­su­chun­gen durch­ge­führt hat­te, »mei­ner Mei­nung nach besteht kein aku­ter Hand­lungs­be­darf, ich wür­de ihnen aber emp­feh­len, zur Beob­ach­tung hier zu blei­ben«. Gut eine Stun­de ver­brach­ten wir dar­auf­hin in einem abge­son­der­ten Raum, in dem es trotz der schon am frü­hen Mor­gen bereits hoch­som­mer­li­chen Tem­pe­ra­tu­ren noch ange­nehm kühl war, und sahen unter­schied­lichs­te Tier­ärz­te kom­men und gehen. Kurz nach­dem der Dienst­wech­sel erfolgt war, begann Hei­di schließ­lich zu pres­sen. Eine hal­be Stun­de spä­ter hiel­ten wir den erst­ge­bo­re­nen Wel­pen – eine schwarz-wei­ße Hün­din, die sich gleich laut­stark ins Leben kräh­te – in den Händen.

Neugeborener Border Collie Welpe
20|07|2022 – Wel­pe No. 4: Rüde

Dienstag, 19. Juli, 12 Uhr

Weil zwi­schen den Gebur­ten der ers­ten vier Wel­pen immer mehr als sech­zig Minu­ten ver­gan­gen sind, wird nach der Geburt des vier­ten Wel­pen in Abspra­che mit der Tier­ärz­tin ent­schie­den, die Geburt der noch aus­ste­hen­den Wel­pen zuhau­se statt­fin­den zu las­sen. Nach­dem ein letz­ter Ultra­schall bestä­tigt hat, dass die Herz­tö­ne der unge­bo­re­nen Wel­pen noch immer stark und gleich­mä­ßig sind, machen wir uns also auf den Heim­weg – Hei­di in der Wan­ne im Kof­fer­raum, die Wel­pen in einem Korb auf der Rück­bank. Kaum, dass wir nach der knapp ein­stün­di­gen Fahrt das Orts­schild pas­siert haben, höre ich ein Schmat­zen aus dem Kof­fer­raum. Den fünf­ten Wel­pen – einen Rüden – nable ich des­halb noch in unse­rer Ein­fahrt gemein­sam mit Hei­di ab. Nur einer von sechs Wel­pen wird am Ende in der hei­mi­schen Wurf­kis­te geboren.

Eine Geburt bleibt immer unbe­re­chen­bar. Aber mit Glück auch das größ­te Glück.

Wel­pe No. 1 – 8.54 Uhr, Hün­din, 385 Gramm
Wel­pe No. 2 – 9.15 Uhr, Hün­din, 402 Gramm
Wel­pe No. 3 – 10.35 Uhr, Hün­din, 350 Gramm
Wel­pe No. 4 – 11.25 Uhr, Rüde, 436 Gramm
Wel­pe No. 5 – 12.40 Uhr, Rüde, 404 Gramm
Wel­pe No. 6 – 14 Uhr, Rüde, 412 Gramm

Unser herz­lichs­ter Dank für die sach­kun­di­ge Unter­stüt­zung und her­vor­ra­gen­de Betreu­ung wäh­rend der Geburt gilt dem Per­so­nal der Kli­nik für Geburts­hil­fe der Jus­tus Lie­big Uni­ver­si­tät Gie­ßen, ins­be­son­de­re Herrn Prof. Dr. Axel Weh­rend sowie den Tier­ärz­tin­nen Coco Froels und Maren Sie­vert. 

© Johannes Willwacher