Die erste Lebenswoche unserer Border Collie Welpen: über fliegende Schatten, hastig verschlungenes Futter – und Fehler, die vielleicht jeder mal macht.
Mother’s Love
In den ersten Tagen nach der Geburt bekommt man die Hündin kaum zu Gesicht. Wenn sie die Wurfkiste doch einmal verlässt, hetzt sie getrieben die Treppen hinunter, überholt ihren Schatten noch, bevor sie den Garten erreicht, und verweilt – wenn überhaupt – nur, um die übrigen Hündinnen mit einem linkischen Blick zu bedenken. Spätestens am zweiten Tag nach der Geburt haben aber auch Letztere begriffen, dass sie gut daran tun, nicht im Weg herum zu stehen. Wann immer der schwarz-weiße Schatten durch das Treppenhaus wischt, schauen sie nämlich betreten zur Wand – beschwichtigen mit stummen Gesten, halten den Kopf demütig gebeugt. Die Hündin derweil rennt um ihr Leben. Sie kann gar nicht anders. Weil ihr Herz immer zwischen den Welpen, unweigerlich in der Wurfkiste bleibt.
This is my Church
Es ist kurz nach fünf, als mir die Zunge eines Hundes nassforsch über das Gesicht leckt. Ich löse mich nur langsam aus den nebligen Traumlandschaften, lasse nur widerwillig die schmiedeeiserne Türklinke los, die ich mit Traumhänden gedrückt gehalten habe, und denke beim Aufwachen noch, dass ich nun niemals erfahren werde, was auf der anderen Seite des Portals auf mich gewartet hat, als ich Heidi hechelnd vor mir stehen sehe. Ungeduldig tritt die Hündin von einem Bein auf das andere, ihr Blick wandert angespannt von mir hin zur Tür. Seufzend streife ich die dünne Decke zurück, stehe auf und kurz darauf mit der Hündin im Garten.
Während das mächtige Portal zusehends verblasst – war es eine Kirche, und wenn ja, was wollte ich da? –, hat die Hündin ihren eiligen Gang schon erledigt, ist sie mit schleunigen Schritten schon wieder die Treppen hinauf geflogen. Schläfrig stolpere ich ihr hinterher, finde sie in der Küche vor einer der leeren, weißen Schalen stehen – und weil ihr Blick auch diesmal keine anderen Schlüsse zulassen will, tue ich schließlich, wie mir befohlen.
Hastig schlingt sie das Futter hinunter – zwei volle Becher, zwei Löffel Fleisch –, nimmt sich nicht einmal die Zeit, um die Schale auszulecken, ist schon wieder auf den Beinen, weil oben ein Welpe schreit. Ich folge, öffne im Welpenzimmer ein Fenster, lasse die Wärme der Nacht hinaus und den Morgen hinein – nur, um zwischen den Welpen doch noch die verloren geglaubte Klinke wiederzufinden. »This is my church«, denke ich, »this is where I heal my hurts«. Die Welpen trinken. Kein Traum könnte schöner sein.
Devil’s in the Details
Mit verkniffener Miene schiebe ich die gerade ausgefüllten Wiegeprotokolle auf das Fensterbrett. Weil die sechs Seiten dabei aber auseinander fächern und die äußere Kante nicht mehr parallel zu der Welpenwaage verläuft, die im rechten Winkel zum Fenster ausgerichtet ist, ziehe ich sie gleich darauf wieder zurück. Statt die Seiten nur kurz aufzustoßen und so in die angestrebte Ordnung zu zwingen, nehme ich mir aber die Zeit, sie erneut durchzublättern – und erneut ist es das zweite Blatt, das mich daran erinnert, was mir ursprünglich die Laune verhagelt hat.
Wie bei allen übrigen Protokollen ist auch bei diesem der Kopf in sauberer Handschrift ausgefüllt und neben der schematischen Darstellung des Welpen das Geschlecht, das Geburtsgewicht und der Zeitpunkt der Geburt eingetragen. Wie bei allen übrigen sind in der darauffolgenden Zeile bereits drei Gewichte aufnotiert – vom Abend des ersten, des zweiten und des dritten Lebenstages –, im Gegensatz zu den fünf anderen ist das Letzte auf diesem aber durchgestrichen, gleich doppelt, und die Korrektur, wie eine kleinlaute Entschuldigung, mit Abstand darüber gesetzt. »Das kommt davon, wenn man nicht aufpasst, und das falsche Gewicht auf dem falschen Papier einträgt«, denke ich und schüttle den Kopf. Dass sich die Gewichte der Welpen in den ersten Lebenstagen mehr als zufriedenstellend entwickelt haben, reicht augenscheinlich nicht aus, um den angeschlagenen Perfektionismus zu besänftigen – derselbe möchte ein makelloses Blatt Papier, auf dem die Gewichte im besten Fall noch bis zum Tage der Abgabe mit dem gleichen Kugelschreiber eingetragen werden, möchte, dass jede Kleinigkeit stimmt.
Nachdem ich einige Zeit auf dem Bett neben der Wurfkiste gesessen und den dunkelblauen Makel angestarrt habe, entscheide ich abschließend, dass ich besser daran tue, die Hunde, statt meine Gewohnheiten zu füttern, und schiebe die Wiegeprotokolle schulterzuckend zurück. »Perfektion«, sage ich im Gehen zu mir selbst, »wäre am Ende doch auf viel zu langweilig«. Was hätte ich sonst schon zu erzählen gehabt?
© Johannes Willwacher