Acrylgemälde eines Border Collies
01|10|2022 – Unser G-Wurf fei­ert sei­nen drit­ten Geburtstag

Unserem G-Wurf zu seinem dritten Geburtstag: über Hunde und Hundemenschen – und warum die Welt mit beiden um so vieles besser ist.

Frü­her – das heißt, zu Zei­ten, als sich mei­ne Arbeits­wo­che noch zwi­schen einem Schreib­tisch in Frank­furt und dem hei­mi­schen Küchen­tisch auf­tei­len ließ – habe ich mir bei den Spa­zier­gän­gen am Main oft­mals vor­ge­stellt, Arthur Scho­pen­hau­er wür­de mir begeg­nen. Obschon mich die Mit­tags­run­den mit dem Hund zumeist bloß über den nur zwei Quer­stra­ßen ent­fern­ten Hol­bein­steig und kaum zwan­zig Minu­ten spä­ter über die Frie­dens­brü­cke zurück ins Bahn­hofs­vier­tel geführt haben, bin ich an man­chen Tagen auch gezielt main­auf­wärts gelau­fen – weit­ge­hend, um Zeit zu schin­den, und die Arbeits­zeit am Nach­mit­tag zu ver­kür­zen. Das klas­si­zis­ti­sche Wohn­haus an der Schö­nen Aus­sicht, in dem Scho­pen­hau­er wäh­rend sei­nes letz­ten Lebens­jah­res zur Mie­te gewohnt hat, mag im Zwei­ten Welt­krieg genau­so zer­stört wor­den sein, wie das Nach­bar­haus, in dem er bis zu einem Streit mit dem Ver­mie­ter mehr als sech­zehn Jah­re lang gelebt hat – weil aber auch der Phi­lo­soph ein eif­ri­ger Spa­zier­gän­ger gewe­sen ist, der sei­ne Pudel über Jah­re am Main­ufer aus­ge­führt hat, ist sei­ne Prä­senz dort trotz­dem noch zu spü­ren. Betagt habe ich ihn mir vor­ge­stellt – das wei­ße Haar wirr und den Backen­bart getrimmt, nicht unähn­lich dem sei­nes Pudels –, im Geh­rock und auf einen Spa­zier­stock gestützt. Viel­leicht hät­te er auf­ge­blickt, wenn er mich mit dem schwarz-wei­ßen Hund hät­te ent­ge­gen­kom­men sehen. Viel­leicht hät­te er mir sogar erken­nend zuge­nickt, weil sich Men­schen­fein­de und Hun­de­freun­de allein schon durch ihre Hal­tung in der Öffent­lich­keit zu erken­nen geben. Viel­leicht hät­ten wir im Vor­bei­ge­hen ein Gespräch begon­nen, es im Fla­nie­ren wei­ter fort­ge­setzt, und ich dar­über die Zeit ver­ges­sen. »Die Zeit wür­de nicht so unauf­halt­sam flie­hen, wenn irgend­et­was, das in ihr ist, des Ver­wei­lens wert wäre«, hät­te der Phi­lo­soph zum Abschied viel­leicht bemerkt. Und ich hät­te ihm Recht gege­ben. Mit einem Blick auf sei­nen und auf mei­nen Hund.

Lachende Frau mit einem Border Collie Welpen, Mensch mit Hund

Zu sei­nen Leb­zei­ten ist Scho­pen­hau­er in Frank­furt nur ein gedul­de­ter Per­mis­sio­nist gewe­sen – einer, der in der Stadt kei­ne Bür­ger­rech­te besaß, und sei­nen Auf­ent­halt jähr­lich neu geneh­mi­gen las­sen muss­te. 1833 – im glei­chen Jahr, in dem die Frank­fur­ter Pauls­kir­che nach mehr als vier­zig Jah­ren Bau­zeit voll­endet wur­de – hat­te sich der erfolg­lo­se Pri­vat­ge­lehr­te end­gül­tig in der Stadt am Main nie­der­ge­las­sen, die er auf der Flucht vor der Cho­le­ra bereits zwei Jah­re zuvor kurz­zei­tig als Wohn­sitz erwo­gen hat­te. Mit ihm zog auch ein Pudel nach Frank­furt, von denen er seit sei­nen Göt­tin­ger Stu­den­ten­jah­ren bereits vie­le beses­sen hat­te. »Wor­an«, soll er gesagt haben, »soll­te man sich von der end­lo­sen Ver­stel­lung, Falsch­heit und Heim­tü­cke der Men­schen erho­len, wenn die Hun­de nicht wären, in deren ehr­li­ches Gesicht man ohne Miss­trau­en schau­en kann?« Dass nicht nur der eige­ne Hund des­halb beson­de­re Pri­vi­le­gi­en genoss – der Pudel wur­de von der Haus­häl­te­rin bekocht und durf­te mit die­ser gemein­sam am Tisch spei­sen –, son­dern sich Scho­pen­hau­er als Mit­grün­der des ers­ten Tier­schutz­ver­eins der Stadt auch all­ge­mein für das Tier­wohl enga­gier­te, mag aus heu­ti­ger Sicht äußerst modern erschei­nen. Damals aber belä­chel­te man den Son­der­ling für sei­ne Tierliebe.

Am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag bin ich nach lan­ger Zeit wie­der ein­mal durch Frank­furt spa­ziert. Wäre mir dies­mal Scho­pen­hau­er begeg­net, dann hät­te er mich – ganz hun­de­los – womög­lich gar nicht wahr­ge­nom­men. Wenn doch, dann hät­te ich ihm viel­leicht von den Hun­den berich­tet, die ich in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren gezüch­tet habe. Von den Men­schen, die ich dadurch ken­nen­ler­nen durf­te, und wie viel sich in ein­hun­dert­fünf­zig Jah­ren – für Hun­de und auch Hun­de­men­schen – zum Bes­se­ren gewan­delt hat. Viel­leicht wür­de er auf­bli­cken und lächeln. Viel­leicht tun Sie das jetzt auch? 

Ob Runa, Guc­ci, Geth­si, Dig­ger, Fire und Ghost heu­te zur Fei­er des Tages auch mit am Tisch sit­zen dür­fen? Oder ob sie die­sen Platz in den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren schon ganz selbst­ver­ständ­lich erobert haben? Das dür­fen ande­re beant­wor­ten. Ich kann nur sagen, dass ich mich vor drei Jah­ren ganz bewusst für jeden ihrer Men­schen ent­schie­den habe – weil ein Hun­de­mensch den ande­ren ganz ein­fach erkennt. Schön, zu wis­sen, dass es euch da drau­ßen gibt, und dass die­se Welt – mit Ver­laub, Herr Scho­pen­hau­er – viel­leicht doch nicht die schlech­tes­te aller mög­li­chen Wel­ten ist. 

© Johannes Willwacher