Und wieder sind zwei unserer Border Collie Welpen ausgezogen: Zeit für letzte Worte und beste Wünsche.
Kann man den Mond stehlen, indem man sein Spiegelbild mit einem Eimer aus dem Wasser schöpft? Der Versuch wird schwerlich gelingen und immer noch ein Mond mehr im Wasser zurückbleiben. Wenn es nach Yoko Ono geht, die eben jene Handlungsanweisung 1964 – als eine von vielen – in ihrem Buch Grapefruit veröffentlicht hat, kommt es aber auch gar nicht so sehr auf die konkrete Umsetzung an. »Stell dir vor, dass ich weine, und meine Tränen dazu nutze, um mich selbst stärker zu machen«, schreibt sie an anderer Stelle. Das Bild, das dabei im Kopf entsteht – eines, das jedem durch pure Vorstellungskraft frei zugänglich ist und das sich ebenso frei außerhalb gesellschaftlicher Übereinkünfte und Zwänge bewegen darf – ist entscheidend. »Wer braucht schon Gemälde«, soll Yoko Ono gesagt haben, »bohrt lieber ein Loch in die Wand und schaut den Himmel an!«
»Genauso wie die Möglichkeit zur Veränderung, beruhen alle Hoffnungen auf eine bessere Welt auf der unerschrockenen Vorstellungskraft von Menschen, die das Leben umarmen«, wird John Lennon zugeschrieben. Die gleiche Grundhaltung klingt auch aus dem 1971 erschienenen Imagine, das Lennon nach biografischen Angaben nicht nur im Beisein von Yoko Ono komponiert hat, sondern das sich auch auf das Konzept der Künstlerin zurückführen lässt. »Stell dir vor, dass es keine Grenzen gibt«, heißt es in einer Zeile, »stell dir all die Menschen vor, die friedlich zusammenleben«, in einer anderen. Erst im Dezember 1980 – zwei Tage, bevor er bei einem Attentat in New York erschossen wurde – räumte John Lennon in einem Interview mit der BBC ein, dass auch Yoko Ono als Urheberin angeführt werden müsse: »Damals war sie eben nur die Ehefrau«. Kaum vorzustellen!
»Plötzlich hatte ich den Gedanken, wenn ich mir jetzt noch einen Welpen zu Iska ins Haus holen würde«, schrieb Holle mir im letzten Jahr kurz vor Weihnachten, »wie fändest du das?« Bei vielen anderen hätte ich wohl länger überlegen müssen – hätte nicht so schnell ein Bild vor Augen gehabt und mich auf die Intensität des gegenwärtigen Augenblicks verlassen. »Wenn man den Frieden sucht, muss man ihn sich zuerst vorstellen«, hat John Lennon gesagt. Wie aber soll man sich das Leben mit einem Hund vorstellen? Wie die unvorhersehbaren Veränderungen, die der Einzug eines Welpen für das eigene Leben bedeutet? Fest steht nur, dass man sich nach kurzer Zeit schon nicht mehr vorstellen kann, dass es jemals anders gewesen ist. Dass es nicht zwei, sondern nur einen gab. Und genau das wünsche ich mir. It’s easy if you try!
I know that you have cause
there’s magic in my eyes.
The Who (1967)
Die größte Angst, die Hunde kennen, ist die Angst, dass der Mensch, dem sie ihre Herz geschenkt haben, nicht zurückkommt, wenn er die Türe hinter sich schließt. Zu lieben wie ein Hund, das bedeutet fraglos bedingungslos zu lieben. Sich ohne Wenn und Aber auf den Anderen einzulassen. Sich nicht um das Alter, die geschlechtliche Identität, die Religion oder die gesellschaftliche Stellung zu scheren. Die Liebe eines Hundes erwartet nur, dass die Achtsamkeit und Freundlichkeit erwidert werden, mit der der Hund dem Menschen begegnet. Weil die Stärke des Wolfs das Rudel ist.
»Dies sind die Gesetze des Dschungel, so alt und so klar wie das Licht. Der Wolf, der sie hält wird gedeihen, und sterben der Wolf, der sie bricht. Lianengleich schlingt das Gesetz sich, voran und zurück, auf und ab. Die Stärke des Packs ist der Wolf, und die Stärke des Wolfs ist das Pack.« Die Zeilen, die der 1865 in Bombay geborene britische Schriftsteller Rudyard Kipling den Bären Baloo im zweiten Kapitel des Neuen Dschungelbuchs rezitieren lässt, lassen sich auch auf das Grundbedürfnis unserer Hunde nach menschlicher Nähe übertragen. Insbesondere der Border Collie zeichnet sich dadurch aus. Durch Treue und Ergebenheit – und einen wachen Blick, der seinen Besitzer stets verfolgt.
»Because all the while I can see for Miles«, heißt es im gleichnamigen Song von The Who, der von Pete Townshend, dem Gitarristen der Band, geschrieben wurde. Auf der Kunsthochschule, an der Townshend von 1961 bis 1964 Grafikdesign studierte, hatte er Karen Astley kennengelernt, die er mit dem Song daran erinnern wollte, sich seines Blickes niemals entziehen zu können. Aus heutiger Sicht mögen die Eifersucht und das Misstrauen, die ihn damals zum Schreiben motiviert haben, ein wenig befremdlich klingen. Bei einem Hund, der sich wie ein Schatten an jeden Schritt seines Besitzers heftet, sieht das ganz anders aus.
Für Miles wünsche ich mir deshalb, dass er dein Schatten sein darf. Dass er dich, Andrea, tagtäglich begleitet. Dass er Meilen sammelt, so wie du Meilen machst. Weil die Stärke des Wolfs das Rudel ist. Und weil – wer, wenn nicht – du das verstanden hast.
© Johannes Willwacher