Acrylgemälde eines schwarz-weißen Border Collie Welpen
13|11|2023 – Unser A-Wurf fei­ert sei­nen 11. Geburtstag

Unser A-Wurf feiert seinen 11. Geburtstag: über die abstrakte Vorstellung von Alter, mit der Hunde herzlich wenig anfangen können.

Die Hun­de haben das Auto schon bemerkt, bevor es über die Bord­stein­kan­te rum­pelt. Der elf­jäh­ri­ge Rüde ist der ers­te, der mit lau­tem Bel­len auf­springt, um den Platz hin­ter der Haus­tür ein­zu­neh­men. Was folgt, müss­te streng genom­men laut genug sein, um die Stim­me zu über­tö­nen, die schon seit Stun­den aus den Laut­spre­chern der Ste­reo­an­la­ge dröhnt, tat­säch­lich fin­det das gespro­che­ne Wort aber in dem Tumult hin­ter der Tür sei­ne Ent­spre­chung. »Der Col­lie­hund hat­te sich ihm ent­ge­gen­ge­wor­fen, und nichts glich sei­ner maß­lo­sen Rase­rei. Er gei­fer­te, er litt, er wuß­te nicht, wie sich gebär­den vor wüten­der Zer­ris­sen­heit sei­nes Innern, er wand sich, peitsch­te mit dem Schweif sei­ne Flan­ken, stemm­te die Vor­der­fü­ße gegen den Boden und schwang sich in blin­der Lei­den­schaft um sich sel­ber, indem er in Lärm und Tob­sucht ver­ge­hen zu wol­len schien« (vgl. Tho­mas Mann: König­li­che Hoheit, S. Fischer, 1909, S. 294f).

Dass die Zei­len aus Tho­mas Manns’ zwei­tem Roman vor mehr als ein­hun­dert­zwan­zig Jah­ren geschrie­ben wor­den sind – der ers­te Hund der Fami­lie, bei dem es sich nach Aus­sa­ge des Autors um einen harm­los geis­tes­kran­ken Aris­to­kra­ten han­del­te, hat dafür Pate gestan­den (vgl. Tho­mas Mann: Herr und Hund, S. Fischer, 1919, S. 24f) –, scheint sich dabei genau­so wenig der Zeit oder dem Alter beu­gen zu wol­len, wie der elf­jäh­ri­ge Rüde, der sich so aus­ge­las­sen über die Heim­kehr sei­nes Men­schen freut.

»Zu den wesent­lichs­ten Eigen­schaf­ten, wel­che den Men­schen von der übri­gen Natur unter­schei­den«, schreibt der­sel­be Autor an ande­rer Stel­le, »gehört das Wis­sen von Anfang und Ende und also von der Gabe der Zeit, – die­sem so sub­jek­ti­ven, so eigen­tüm­lich varia­blen, nach sei­ner Nutz­bar­keit so ganz dem Sitt­li­chen unter­wor­fe­nen Ele­ment, dass sehr wenig davon sehr viel sein kann«. Das mag viel­leicht erklä­ren, war­um es nicht nur für die­sen, son­dern für alle Hun­de ein Leich­tes ist, sich trotz der grau­en Schnau­ze mit­un­ter noch wie ein Wel­pe zu gebär­den – und war­um es für den Hund uner­heb­lich ist, wie­vie­le Geburts­ta­ge wir Men­schen bereits gezählt haben, um unse­rer abs­trak­ten Vor­stel­lung von Alter zu entsprechen.

Also tobt der elf­jäh­ri­ge Rüde wei­ter in aus­ge­las­se­ner Freu­de hin­ter der Tür. Und ich hof­fe, dass es sei­nen Geschwis­tern – unse­rem A-Wurf – an ihrem elf­ten Geburts­tag genau­so ergeht.

© Johannes Willwacher