Schwere Entscheidungen: zum Ende der fünften Lebenswoche wird es Zeit zu überlegen, welcher Welpe zu welchem Menschen passt.

Ein ein­zel­ner Schein­wer­fer flammt auf. Lang­sam tritt Ger­tru­de in den grel­len Licht­ke­gel, der sich auf den Büh­nen­bret­tern des Impe­ri­al Theat­re abzeich­net. Für einen Moment drängt es sie die Augen zu schlie­ßen, wenigs­tens ein­mal kurz zu blin­zeln. Für einen Moment möch­te sie den kur­zen Rock der Uni­form, in die man sie gesteckt hat, mit bei­den Hän­den am Saum fas­sen, möch­te die sich fast unan­stän­dig auf­bau­schen­den schwar­zen Rüschen glatt zie­hen, über denen die wei­ße Schür­ze eines Dienst­mäd­chens wippt. Weil sie in ihren Hän­den aber ein alte Stoff­pup­pe hält – Gershwin hat­te die­sel­be in einem Spiel­zeug­la­den in Phil­adel­phia ent­deckt und kurz­ent­schlos­sen ver­fügt, sie mit die­ser auf­tre­ten zu las­sen –, und die Musik bereits ein­ge­setzt hat, tut sie weder das eine, noch das ande­re, son­dern beginnt ganz ein­fach zu sin­gen. »There’s a say­ing old says that love is blind«, singt sie zu den Klän­gen aus dem Orches­ter­gra­ben, »still we’re often told, ›seek and ye shall find‹«.

Fünf Wochen alter Border Collie Welpe
09|02|2024 – Broad­me­a­dows June in January

Dass die Law­rence nicht gesucht hat­te, wür­de nie­mand bestrei­ten, der ihren acht­und­zwan­zig­jäh­ri­gen Lebens­weg bis zu die­sem Tag gekreuzt hat­te. An Ver­eh­rern hat­te es ihr nie geman­gelt, und nicht weni­ge davon, Män­ner wie Frau­en, hat­ten auch den Weg in das Bett der Schau­spie­le­rin gefun­den. Gefun­den hat­te sie schluss­end­lich aber der zwan­zig Jah­re älte­re Fran­cis Gor­don-How­ley – ein schreck­lich unta­len­tier­ter Schma­rot­zer, der ihr schnell ein Kind gemacht und dann beab­sich­tigt hat­te, den Rest sei­nes Lebens auf ihre Kos­ten zu ver­brin­gen. Die Schei­dung – längst über­fäl­lig, seit­dem sie ihn 1923 mit der kaum fünf­jäh­ri­gen Pame­la ver­las­sen hat­te – hat­te sie den­noch nie ein­ge­reicht. War­um auch? Zum einen stand ihr nicht der Sinn danach, sich erneut zu ver­hei­ra­ten. Und zum ande­ren fehl­te ihr dazu auch schlicht und ergrei­fend die Zeit, seit­dem sie der bri­ti­schen Insel – den klei­nen Pro­vinz­thea­tern genau­so wie dem Lon­do­ner West End – den Rücken gekehrt und sich am Broad­way ver­sucht hat­te. Das Stück, das dort an die­sem Novem­ber­abend sei­ne Pre­mie­re fei­er­te, hat­ten Geor­ge und Ira Gershwin nur für sie geschrie­ben – und sie damit zur ers­ten bri­ti­schen Schau­spie­le­rin gemacht, die eine Haupt­rol­le am Broad­way spiel­te. Sie hat­te Erfolg, sie hat­te Geld – und wenn sie einen Mann brauch­te, dann viel­leicht allein aus dem Grund, jeman­den zu haben, der ihre Aus­ga­ben im Blick behielt. Denn dass die Law­rence noch häu­fi­ger in teu­ren Bou­ti­quen, als auf der Büh­ne zu fin­den war, wür­de auch nie­mand bestreiten.

Fünf Wochen alter Border Collie Welpe
09|02|2024 – Broad­me­a­dows Just In Time

»There’s a some­bo­dy I’m lon­ging to see«, singt sie und senkt den Blick, »I hope that he turns out to be someone who’ll watch over me«. Getru­de ahnt, dass Geor­ge Gershwin in den Kulis­sen steht und sie beob­ach­tet, und mit einem Mal ist ihr, als ob sie das Trom­meln sei­ner Fin­ger­spit­zen hören kann, die auf den höl­zer­nen Auf­bau­ten die Akkor­de grei­fen. »Im Takt, immer im Takt!« Dass sie bei jeder Begeg­nung mit dem Kom­po­nis­ten an eines der auto­ma­ti­schen Kla­vie­re den­ken muss, mit denen sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren nicht weni­ge Salons der bes­se­ren Gesell­schaft geschmückt haben, wür­de sie ihm nie­mals sagen – auch wenn ihre Gedan­ken dabei durch und durch wohl­wol­lend sind. Er ist unge­küns­telt und beschei­den, trotz sei­ner Berühmt­heit nicht im Gerings­ten affek­tiert. Und dabei immer so ver­läss­lich, wie eines die­ser Kla­vie­re. Eines, das zu jeder Zeit auf Knopf­druck die schöns­ten Melo­dien abspielt. »Jaz-o-mine«, erin­nert sie sich jetzt, dort auf der Büh­ne, nennt sich eine der Melo­dien, die Gershwin selbst für Wel­te-Mignon als Repro­duk­ti­ons­rol­le ein­ge­spielt hat. »So jemand«, denkt sie, als die letz­te Note ver­klingt, »so jemand könn­te viel­leicht auch der Rich­ti­ge sein«. Und dann nimmt der Applaus sie mit.

Fünf Wochen alter Border Collie Welpe
09|02|2024 – Broad­me­a­dows Juju

Über den Rich­ti­gen den­ke auch ich am Ende der fünf­ten Lebens­wo­che unse­rer Wel­pen nach. Allein, dass es mir dabei weni­ger um jeman­den geht, der mei­ne Rech­nun­gen bezahlt, son­dern ich mir viel eher die Fra­ge stel­le, wel­cher Mensch der Rich­ti­ge für wel­chen Wel­pen ist. Dass ich mir ger­ne etwas mehr Zeit damit las­se, mei­ne Wel­pen zu beob­ach­ten, wis­sen die meis­ten Inter­es­sen­tin­nen und Inter­es­sen­ten schon, bevor sie sich um einen mei­ner Wel­pen bewer­ben. Wäh­rend sich man­che zwar ger­ne schon am Tag der Geburt anhand opti­scher Prä­fe­ren­zen für einen Wel­pen ent­schei­den wür­den, spielt für mich aber die Wesens­ent­wick­lung eine viel wich­ti­ge­re Rol­le. Etwas, das Zeit braucht – und das sich zuver­läs­sig auch nur durch jeman­den beur­tei­len lässt, der mög­lichst viel Zeit mit den Wel­pen ver­bringt. Durch den Züch­ter, also. Durch mich.

Als Züch­ter bin ich zual­ler­erst dem Wohl­erge­hen mei­ner Wel­pen ver­pflich­tet – wes­halb ich auf man­che Wün­sche auch kei­ne Rück­sicht neh­men kann, wenn ich davon über­zeugt bin, dass die­ser oder jener Wel­pe ganz ein­fach nicht passt. Denn eine Pas­sung soll­te in jedem Fall gege­ben sein. Sei es, dass die per­sön­li­chen Fähig­kei­ten es erlau­ben, auch einem eher for­dern­den Wel­pen gerecht wer­den zu kön­nen. Oder sei es, dass die per­sön­li­chen Zie­le den Poten­zia­len des jewei­li­gen Wel­pen – als mög­li­cher Zucht- oder Aus­stel­lungs­hund, als Sport-, The­ra­pie- oder Fami­li­en­hund – ent­spre­chen. Die Beob­ach­tun­gen, die ich bei den Wel­pen in den ers­ten Lebens­wo­chen mache, mögen zwar nicht immer unan­fecht­bar sein – ein Wel­pe, der sich wäh­rend der Auf­zucht als ruhigs­ter in sei­nem Wurf erwie­sen hat, ist viel­leicht auch nur der ruhigs­te unter ins­ge­samt sehr trieb­star­ken Wel­pen –, schluss­end­lich sind sie aber für bei­de Sei­ten der ver­läss­li­che­re Schlüs­sel zum Glück. 

Wo gibt es am Ende also Applaus? Wo ver­beugt man sich und tritt schwei­gend von der Büh­ne ab? Wer darf im Leben wel­ches Wel­pen die Haupt­rol­le spie­len? Fünf Wochen habe ich mir Zeit gelas­sen. Die sechs­te Woche wird es zeigen.

Das fünfte Fotoshooting …

… und was im Welpenkindergarten passiert.

© Johannes Willwacher