Der Züchter als Eintänzer: über wilde Zeiten im Berlin der Zwanziger – und warum mancher auch hundert Jahre später mit gebrochenem Herzen zurückbleibt.

»Die mit dem lan­gen Hals hat mich nach mei­nem Namen gefragt«, schreibt Bil­ly Wil­der in einer Repor­ta­ge, die im Janu­ar 1927 in der Ber­li­ner Zei­tung erscheint, »sie wol­le nun, da ich hier Tän­zer bin, öfter kom­men«. Ein Jahr zuvor ist der Zwan­zig­jäh­ri­ge von Wien nach Ber­lin gekom­men. Kaum Geld in den Taschen und kein Zim­mer für die Nacht, läuft er dort auf dem Pots­da­mer Platz einem Bekann­ten in die Arme, der sich nach einem gemein­sa­men Diner im Kem­pinski bemü­ßigt fühlt, dem spä­te­ren Film­re­gis­seur unter die­sel­ben zu grei­fen. »Sie haben doch eine Ahnung, wie man in Gesell­schaft sich ver­beugt, wie man einer Dame die Hand küsst?«, fragt er ihn. Wäh­rend Wil­der zuerst nicht begreift, über­zeugt ihn an Ende doch das Bün­del an Hun­dert­mark­schei­nen, das der Bekann­te aus sei­ner Brief­ta­sche zieht – und tags dar­auf stellt er sich schon als Ein­tän­zer im fei­nen Hotel Eden vor.

»Mil­lio­nen von unter­ernähr­ten, kor­rum­pier­ten, ver­zwei­felt gei­len, wütend ver­gnü­gungs­süch­ti­gen Män­nern und Frau­en tor­kel­ten und tau­mel­ten dahin im Jazz-Deli­ri­um«, schreibt mit Klaus Mann ein Zeit­ge­nos­se Wil­ders. Auch Mann, der ältes­te Sohn des welt­be­kann­ten Nobel­preis­trä­gers, kommt in den Zwan­zi­ger Jah­ren immer wie­der nach Ber­lin, so dass es kaum ver­wun­dert, dass er die Kulis­se der Stadt im Umbruch auch für die ers­ten eige­nen Geh­ver­su­che als Schrift­stel­ler über­nimmt. Das Ber­lin der Zwi­schen­kriegs­zeit tanzt. Jeder liebt, wen er lie­ben will, und die alten Stan­des­gren­zen gel­ten nicht mehr. Weil es sich allei­ne aber schlecht tanzt – nicht weni­ge der tan­zwil­li­gen Damen sind nach dem Krieg ver­wit­wet, oder haben einen Part­ner an ihrer Sei­te, der sich auf dem Par­kett als unbrauch­bar erweist –, sind Miet­tän­zer gefragt.

Sechs Wochen alter Border Collie Welpe
15|02|2024 – Broad­me­a­dows Joint Is Jumpin’

»Wenn das Herz dir auch bricht, zeig’ ein lachen­des Gesicht, man zahlt und du musst tan­zen«, wird die Geschich­te eines eben­sol­chen auch in einem Schla­ger erzählt, den Juli­us Brammer 1924 im Ber­li­ner Hotel Adlon schreibt. Auch dort gehen damals nicht weni­ge schö­ne, arme Gigo­los ein und aus – ver­arm­te Ade­li­ge und ent­las­se­ne Offi­zie­re, die sich aus ihrem frü­he­ren Leben nicht viel mehr als ein tadel­lo­ses Beneh­men und ein wenig tän­ze­ri­sches Kön­nen haben ret­ten kön­nen, denen die Damen­welt aber genau­so des­we­gen zu Füßen liegt. Oder bes­ser: zah­lend auf den Füßen steht. »Paid for every dance, sel­ling each romance, every night some heart betray­ing«, heißt es schließ­lich auch in in der ers­ten eng­lisch­spra­chi­gen Auf­nah­me des Schla­gers, die Lou­is Arm­strong 1930 in den USA ein­spielt. Der Tän­zer ver­kauft Lie­be und Auf­merk­sam­keit. Sein Herz und sein eige­nes Schick­sal sind nicht von Belang.

Züch­te­rin­nen und Züch­tern geht es streng genom­men nicht anders. Allein, dass das Herz, das sie zum Ver­kauf anbie­ten, sich auf vier Bei­nen bewegt. Dem eige­nen fällt es aber trotz­dem nie leicht, einen Wel­pen her­zu­ge­ben. Einen, der in die eige­nen Hän­de gebo­ren wor­den und über Wochen lie­be­voll auf­ge­zo­gen wor­den ist. Zwar mag es Züch­te­rin­nen und Züch­ter geben, bei denen der Zucht­ge­dan­ke eher am Gewinn ori­en­tiert ist, und die bei einem Wel­pen weni­ger an ein Stück ihres Her­zens, mehr an einen unter­schrie­be­nen Kauf­ver­trag den­ken – den meis­ten merkt man aber immer öfter eine gewis­se Schwer­mut an, je näher der Tag der Abga­be rückt. 

Sechs Wochen alter Border Collie Welpe
15|02|2024 – Broad­me­a­dows Jer­sey Bounce

Zuge­ge­ben fällt es leich­ter, sich zu tren­nen, wenn klar ist, das ein Wel­pe blei­ben darf. Das geht aber nicht immer. Die von vie­len Züch­te­rin­nen und Züch­tern getrof­fe­ne Aus­sa­ge, dass jeder Wurf so geplant wer­de, als ob ein Wel­pe blei­ben sol­le, zielt zwar vor­der­grün­dig dar­auf ab, einen soge­nann­ten Ver­kaufs­wurf auf­zu­wer­ten, offen­bart dar­über hin­aus aber noch eine wei­te­re Gege­ben­heit: den wenigs­ten ist es mög­lich, aus jedem Wurf einen Wel­pen zu behal­ten. Die Grün­de beschrän­ken sich dabei nicht allein auf finan­zi­el­le Fra­gen – je höher die Anzahl der gehal­te­nen Hun­de, des­to höher auch die regel­mä­ßi­gen Kos­ten –, son­dern hän­gen auch mit den Ansprü­chen an die Hal­tung zusam­men. Gera­de einer anspruchs­vol­len Ras­se, wie dem Bor­der Col­lie, will es kaum genü­gen, nur als Zucht-, Aus­stel­lungs- und Fami­li­en­hund gehal­ten zu wer­den. Um einer grö­ße­ren Anzahl an Hun­den gerecht wer­den zu kön­nen – ihnen eine ent­spre­chen­de Aus­bil­dung zukom­men zu las­sen und sie über die Jah­re hin­weg sinn­voll und art­ge­recht aus­zu­las­ten – braucht es also Zeit. Zeit, die nicht vie­le Züch­te­rin­nen und Züch­ter auf­brin­gen kön­nen, wenn sie neben der hob­by­mä­ßi­gen Hun­de­zucht auch noch einer gere­gel­ten Arbeits­tä­tig­keit nach­ge­hen müs­sen. »Im All­tag kön­nen wir es viel­leicht schaf­fen, fünf oder sechs Hun­den gerecht zu wer­den«, habe ich des­halb ein­mal gesagt, »das aber auch nur, wenn sich zwei Men­schen die Für­sor­ge und das Trai­ning tei­len, und die Hun­de alters­mä­ßig gut gestaf­felt sind«. Der Ver­stand sorgt also dafür, dass auch beson­ders viel­ver­spre­chen­de Wel­pen immer wie­der zie­hen gelas­sen wer­den müs­sen. Das Herz weint trotz­dem bei jedem. Die­ses bescheu­er­te Herz.

Sechs Wochen alter Border Collie Welpe
15|02|2024 – Broad­me­a­dows J. Gatsby

Mir geht es gera­de nicht anders. Nach­dem aus den letz­ten bei­den Wür­fen unse­rer Hün­din drei Wel­pen bei uns geblie­ben sind, von denen zwei die Zucht­li­nie wei­ter­füh­ren wer­den, stand schon bei der Wurf­pla­nung fest, dass dies­mal kein Wel­pe blei­ben kann. Zu wis­sen, dass unter den zukünf­ti­gen Besit­zern ver­stän­di­ge Men­schen sein wer­den – sol­che, die bereits Erfah­rung im Aus­stel­lungs­ring gesam­melt haben, genau­so wie sol­che, die pla­nen, den Wel­pen unter ent­spre­chen­den Vor­aus­set­zung zur Zucht ein­zu­set­zen –, macht es zwar leich­ter, alle her­zu­ge­ben. Aber eben nie­mals leicht. »When the end comes, I know they’ll say just a gigo­lo, as life goes on wit­hout me«, seuf­ze des­halb auch ich am Ende der sechs­ten Lebens­wo­che unse­rer Welpen.

Kaum mehr, als zwei Wochen sind es noch. Zeit, um noch ein biss­chen mit den Wel­pen zu tanzen.

Das sechste Fotoshooting …

… und was im Welpenkindergarten passiert.

© Johannes Willwacher