Die siebte Lebenswoche: wie wird das Selbstbewusstsein eines Welpen geformt? Über Mut und Souveränität, Angst und Unsicherheit – und die richtige Prägung.
Fear of a female planet? Fear, baby!
Sonic Youth (1990)
Kim ist nervös. Als sie das Gebäude betritt, in dem die Rehearsals während der fünftägigen Tourpause stattfinden, die es ihr erlaubt, ein Interview mit LL Cool J zu führen, sind ihre Hände schweißnass. Adam Horovitz von den Beastie Boys hat einmal über sie gesagt hat, dass sie immer die coolste Person im Raum sei, ganz gleich, wo sie sich befinde. In diesem Augenblick aber scheint das wie ein schlechter Witz. Sie fühlt sich deplatziert und schaut zweifeld an sich herunter. Der Minirock und die abgetragenen Converse-Sneaker, für die sie sich gedankenlos entschieden hat, scheinen ihre Unsicherheit nur noch weiter zu befeuern.
Eine Tür wird aufgerissen. LL Cool J tritt heraus, von drei Stylisten umringt. Er scheint sie gleich bemerkt zu haben – mit ihren weiß gebleichten Haaren ist sie kaum zu übersehen –, lässt sich jedoch Zeit, um noch mit diesem oder jenem zu reden, bevor er an sie herantritt. Kim streckt die Hand aus, bereut die Geste aber, und zieht sie wieder zurück. Er wirkt unnahbar, distanziert. Sie denkt noch immer übers Händeschütteln nach, drückt ihm dann aber stattdessen eine CD in die Hand. »Würdest du die für mich signieren?« Er lächelt. Es ist Radio, sein letztes Album.
Das Interview wird schließlich in einem der angrenzenden Studioräume fortgesetzt. Kim entspannt sich, und auch der fünfzehn Jahre jüngere Rapper scheint sich nach einer Weile auf die Fragen einlassen zu können, die sie ihm stellt. Sie reden über Hardcore und Hip Hop, über Bands, die beide kennen, und auch, wenn er von ihrer noch nie gehört hat, begegnen sie sich gleichberechtigt. Auf Augenhöhe.
»Was ist mit Frauen, die dich als Sexobjekt sehen und ein Foto von dir mit ins Bett nehmen?«, fragt sie ihn. Er räuspert sich, scheint nachzudenken. »Das geht mich nichts an«, sagt er schließlich, während er am Schirm seiner Baseballkappe zupft. »Der Mann muss seine Frau im Griff haben. Er muss die Kontrolle behalten. Eine Frau muss ihren Mann respektieren und wissen, dass es ihr nicht zusteht, so etwas zu tun.« Kim schluckt, der Kugelschreiber fliegt über das Papier. »Hast du eine Traumfrau?«, fragt sie, als sie wieder aufschaut. »Intelligenz ist überbewertet«, antwortet er, rutscht auf dem roten Sofa nach vorn und stützt die Armbeugen auf die weit gespreizten Beine, »eine Frau muss nett sein, verstehst du, was ich meine?« Sie schaut ihn fragend an. »Mir ist egal, wie sie aussieht oder was andere über sie denken. Mit wem sie zusammen war oder was die Nachbarn von ihr halten. Ich behandle eine Frau immer so, wie sie sich in meiner Gegenwart verhält.« Kim kann nicht anders, als nachzuhaken: »Aber trotzdem wird es doch Frauen geben, die dir in Nullkommanichts verfallen sind?« LL Cool J lächelt breit und antwortet: »Schon bis mittags mindestens zehn«.
Für den Rest des Interviews hält Kim seinem Blick stand, ihre Augen funkeln. Die Macht, die heterosexuelle Männer aus der Annahme schöpfen, für alle Frauen unwiderstehlich zu sein, bröckelt. Selbstbewusst streckt sie die Hand aus: »Wir können trotzdem Freunde bleiben«. Weil Selbstbewusstsein auch bedeutet, sich nicht auf das reduzieren zu lassen, was jemand anderes in einem sieht. Kool Thing.
Was gelingt leichter: Selbstbewusstsein aufzubauen oder einen Welpen in die Schranken zu weisen, der zu viel davon an den Tag legt? Als Züchter sieht man sich in der Regel mit beiden Herausforderungen konfrontiert. Mit Welpen, die auf den ersten Blick schüchtern und zurückhaltend wirken, genauso wie mit Welpen, die vor Selbstbewusstein geradezu überschäumen und kaum zu bändigen sind. Diese Charakterzüge sind tief in ihrem Wesen verankert. Sie entwickeln sich im Laufe des Lebens eines Hundes zwar weiter, lassen sich jedoch nicht grundlegend verändern. Bei unsicheren Hunden kann gezieltes Training aber dennoch dazu beitragen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken, sodass sie sich in herausfordernden Situationen sicherer und souveräner bewegen.
»Die ist aber ganz schön dominant und selbstbewusst«, meint eine der zukünftigen Welpenbesitzerinnen mit weit aufgerissenen Augen, als sie am vergangenen Wochenende im Welpenauslauf sitzt. Ihr Blick ist auf eine der drei Hündinnen gerichtet, die mit hoch erhobener Rute über einem der drei Rüden steht, der unter ihr am Boden liegt. Ich schüttle den Kopf. »Dominanz ist kein grundlegender Wesenszug, vielmehr ein situatives Verhalten«, gebe ich zur Erklärung zurück, »es mag zwar Hunde geben, die im Laufe ihres Lebens lernen, dass sie mit dieser oder einer anderen Verhaltensweise eher zum Erfolg kommen, und sie immer wieder wählen, um Konflikte zu lösen, beim Welpen ist das aber meist nur eine Momentaufnahme«. Zum Beweis wird aus der überlegenen Hündin im nächsten Moment die unterlegene, die sich von dem deutlich kleineren Rüden spielerisch unterwerfen lässt. »Ein selbstbewusster Hund hat es gar nicht nötig, einem anderen seine Stärke zu beweisen«, fahre ich fort. »Wer sich aufbläst, droht und lautstark seine Überlegenheit zur Schau stellt, ist selten souverän«. Und denke, dass sich das auch beim Menschen kaum anders verhält.
Wie Hunde mit Angst und Unsicherheit umgehen, lässt sich ebenso wenig pauschalisieren. Grundsätzlich lassen sich zwar zwei Strategien unterscheiden – Angriff und Flucht –, die wenigsten Hunde wählen aber ausschließlich nur eine davon. Während es für wenig erfahrene Hundebesitzer nun naheliegend scheint, dem einen mit bedauernder Zuwendung zu begegnen – dem Welpen sanft über den Kopf zu streichen und beruhigend auf ihn einzureden –, würden dieselben dem lautstarken Angriff wohl eher gegenteilig begegnen. »Der ist aber ganz schön dominant und selbstbewusst«, würde es vielleicht heißen, obwohl im Grunde das gleiche unsichere Verhalten dahinter steckt. In beiden Fällen werden Angst und Unsicherheit nur noch weiter verstärkt, weil der Welpe nicht lernt, die angstauslösende Situation durch seine eigene Selbstsicherheit zu kompensieren. Der Mensch muss also souverän auftreten, wenn auch der Hund souverän auftreten soll. Das benötigt Beständigkeit und Konsistenz. Und gemeinsame Erfolgserlebnisse.
»Oh, wie fein!«, quietscht Dirk in den höchsten Tönen, als der Welpe schließlich die Schräge gemeistert hat und mit wedelnder Rute auf dem Steg zum Stehen kommt. Der Ausflug auf den Hundeplatz, den wir schon seit vielen Jahren in der siebten Lebenswoche unserer Welpen unternehmen, verfolgt vor allen anderen Dingen einen Sinn: er soll die Persönlichkeit der Welpen stärken und ihnen Mut machen, Situationen zu meistern, die sie sich sonst nicht zugetraut hätten. Steg und Tunnel, Hürden und Flatterband – das alles dient in der Prägung dazu, den Welpen auf seine Fähigkeiten aufmerksam zu machen und ihn dazu anzuhalten, diese zu nutzen. Mit dem Menschen an seiner Seite. Kool Thing.
© Johannes Willwacher