Acrylgemälde Border Collie Welpe
12|09|2021 – Gemal­te Erin­ne­run­gen: unser C-Wurf wird sechs Jah­re alt

Unser C-Wurf feiert seinen sechsten Geburtstag: über das Hin- und das Wegschauen. Und die Frage, wie viel Gegenwart selbstverständlich ist.

In unse­rem Gar­ten ste­hen zwei mäch­ti­ge, alte Kirsch­bäu­me. An den meis­ten Tagen geht der Blick bei­na­he durch sie hin­durch: ihre Anwe­sen­heit wird zwar bemerkt, der Anblick ver­mag es aber nicht, ein Gefühl aus­zu­lö­sen. »Zwei Bäu­me«, nimmt man im Vor­bei­ge­hen zur Kennt­nis. Und mehr nicht. 

Nur wer sich die Zeit nimmt, um genau­er hin­zu­se­hen, wird das Moos bemer­ken, das an den Stäm­men empor­ge­kro­chen ist. Die Flech­ten, die wie ein zar­ter Besatz fast jeden der gewun­de­nen Äste zie­ren. Oder das Laub, das von Wei­tem noch frisch und grün wirkt, bei nähe­rem Betrach­ten aber längst ver­trock­net ist. 

Vie­len mag es mit einem Hund ähn­lich erge­hen. An den meis­ten Tagen wird sei­ne Anwe­sen­heit als ganz selbst­ver­ständ­lich hin­ge­nom­men: man steht auf, füt­tert ihn und dreht eine Run­de, zwi­schen­durch liegt er immer wie­der im Weg her­um. Das wie­der­holt sich. Tag für Tag. Und weil man sich fast zu sehr an sei­ne Gegen­wart gewöhnt hat, geht auch der Blick immer öfter durch ihn hin­durch. Läuft man an ihm vor­bei. Um ihn her­um. Steigt über ihn hin­weg. Fast ohne ein Gefühl auszulösen.

An Geburts­ta­gen ist das anders. Weil Geburts­ta­ge einen im bes­ten Fall dazu zwin­gen, genau­er hin­zu­schau­en. Nicht das Moos, son­dern die grau­en Haa­re zu bemer­ken. Nicht die Flech­ten, son­dern den Hin­ter­lauf, der nach dem Auf­ste­hen nun manch­mal lahmt. Nicht das Laub, das längst welk und ver­trock­net ist, son­dern die Zeit, die man viel zu selbst­ver­ständ­lich hat ver­strei­chen las­sen. 

Ich weiß nicht, wie alt die bei­den Kirsch­bäu­me sind, die in unse­rem Gar­ten ste­hen. Ich weiß nicht, wer sie ange­pflanzt hat, oder wie vie­le Men­schen sie haben kom­men und gehen sehen. Ich weiß aber, dass ich sie an man­chen Tagen mit ande­ren Augen betrach­te. Und dass sie mei­nen Blick erwi­dern, so ver­rückt das auch klingt. »Auf­merk­sam­keit ist das Leben«, hat Goe­the vor gut zwei­hun­dert Jah­ren in Wil­helm Meis­ters Wan­der­jah­re geschrie­ben. Für einen Hund – für ein so kur­zes Leben – soll­te viel­leicht des­halb jeder Tag wie ein Geburts­tag sein. 

Lasst euch fei­ern: Zoe, Fin­ja, Ellie, Fly, Bran, Cra­zy und Nova.

© Johannes Willwacher