Im deutschen November: Friedrich Nietzsche sitzt dichtend auf der Chaiselongue – und wir warten auf das Import Permit, um einen von zwei Border Collie Welpen gehen zu lassen.
If we could take the time
to lay it on the line,
I could rest my head just knowin’
that you were mine.
November Rain, Guns N’ Roses (1992)
An einem Novemberabend sitzt unerwartet Friedrich Nietzsche auf der Chaiselongue, die von schwarzem Stoff umwehten Beine übereinander geschlagen und das Gesicht mit dem ausufernden Schnauzbart zur Hälfte hinter der zur Faust zusammengerollten Rechten versteckt. »Dies ist der Herbst«, stößt er in dunklem Basslaut dahinter hervor, »dies ist der Herbst, der … bricht dir noch das Herz!« Dann zerfällt der Körper des Philosophen zu Staub, ist verschwunden, so schnell er erschienen ist – und an der Ecke des Sitzmöbels bleibt nur Dirk übrig, der Fate an sich drückt.
Kaum zwei Monate bleiben noch, bis Fate sich auf den Weg nach Australien machen wird – bis sie die Zeit in Deutschland abgesessen hat, die von den australischen Behörden erwartet wird. »Nachdem das Tier gegen Tollwut geimpft und der Titer bestimmt worden ist, muss es noch mindestens 180 Tage im Ursprungsland verbleiben, bevor es nach Australien einreisen kann«, hatte ich irgendwann im vergangenen Jahr in einem Handbuch gelesen, das dem Exportprozess gewidmet ist.
Laborberichte und amtstierärztliche Zeugnisse
Das mag nach einem sehr langen Zeitraum klingen, tatsächlich müssen in demselben aber so viele bürokratische Hürden genommen werden, dass es kaum gelingen würde, alle erforderlichen Papiere – die Laborberichte und amtstierärztlichen Zeugnisse, die Beglaubigungen und Bescheinigungen – schneller abgestempelt in den Händen zu halten. Zwei Monate vor dem frühesten Reisedatum warten wir deshalb noch immer auf das Import Permit – die offizielle Einreiseerlaubnis der australischen Behörden, an der sich nicht nur alle noch ausstehenden Untersuchungen, sondern auch die Behandlungen gegen interne und externe Parasiten zeitlich orientieren.
Gerade dem Letztgenannten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: sollte bei einem Hund bei der Ankunft in Australien beispielsweise eine Zecke gefunden werden, verlängert sich die ohnehin zweiwöchige Quarantänepflicht auf vier Wochen. Vier Wochen, in denen der neue Besitzer – wohlgemerkt – keinen Zugang zum Tier hat. »Wie gut, dass sie im Winter reisen wird«, habe ich also vor Monaten gedacht. Dazwischen hat das Leben aber leider den Herbst gesetzt. Und kaum, dass er verschwunden ist, sitzt deshalb auch Nietzsche wieder da: »Der … bricht dir noch das Herz!«
Im deutschen November
Es ist nicht leicht, einen Welpen gehen zu lassen, wenn die neun Wochen der Welpenaufzucht vergangen sind. Es ist nicht leicht, wenn er sechzehn Wochen und damit alt genug ist, um in eines der Länder auszureisen, bei denen zur Einreise eine gültige Tollwutimpfung nachzuweisen ist. Bei einem Welpen – nein, bei einem jungen Hund –, der fast zehn Monate zum täglichen Leben gehört, mit dem man gespielt und gearbeitet, zu dem man eine intensive Bindung aufgebaut hat, bricht es einem aber beinahe das Herz, wenn es heißt: »Fliege fort, fliege fort!«
Vielleicht gerade in solchen Momenten, wenn Nietzsche dichtend auf der Chaiselongue sitzt. Und vielleicht gerade im deutschen November.
© Johannes Willwacher