Die Zeit läuft: Kackility

Ein Wel­pe wird immer gefressen.
Bea­te Steinz (Zucht­war­tin), über Bewirtungskosten
die durch Wel­pen­be­su­che entstehen

Ein war­mer Duft strömt durch das Haus, wäh­rend ich mit ver­schla­fe­nen Augen im Bade­zim­mer ste­he und ver­su­che, die digi­ta­le Anzei­ge unter mei­nen Füßen beson­ders böse anzu­schau­en. Dass die Waa­ge unter mir kein Ein­se­hen haben und auch das zusätz­li­che Kilo kaum ent­schei­den wird, sich in der Tür geirrt zu haben (»’tschul­di­gung, war gar nicht die rich­ti­ge Hüf­te!«), ist mir längst klar. Trotz­dem bleibt mein Blick wie gebannt auf den blin­ken­den Zif­fern haf­ten, die, wenn ich mit den Zehen wack­le, kurz freu­dig stim­men, dann aber gleich beschlie­ßen wie­der nach oben zu schnel­len. Ein Kilo mehr, ver­dammt, den­ke ich, und schaue auf die Uhr auf der Abla­ge. Kurz nach sechs. Noch zehn Minu­ten, bis der Kuchen aus dem Ofen muss, zwan­zig viel­leicht, bis sich der ers­te Wel­pe mel­det. Ich drü­cke mei­ne Nase gegen das Spie­gel­glas, lege bei­de Hän­de an die Wan­gen und atme aus. Der Spie­gel beschlägt. Noch bevor ich das Glas mit dem Hand­rü­cken sau­ber gewischt habe, höre ich ein dün­nes Stimm­chen, das zwei Türen wei­ter beschlos­sen hat, schon aus­ge­schla­fen zu sein. Kacki­li­ty statt Kuchen, den­ke ich, klat­sche in die Hän­de und ver­las­se das Bad, ohne die Waa­ge eines wei­te­ren Bli­ckes zu wür­di­gen. Die hat es auch nicht anders verdient.

Der Kuchen, der wäh­rend­des­sen dar­auf war­tet, mit behand­schuh­ten Hän­den aus dem Ofen genom­men und zum Abküh­len auf das Fens­ter­sims gestellt zu wer­den, ahnt nicht, was ein Stock­werk höher vor sich geht. Kuchen beschäf­ti­gen sich im All­ge­mei­nen nur wenig mit Din­gen, die sie nichts angehen.

Kacki­li­ty. Geführt von einer Grup­pe von sechs Wel­pen durch­lau­fe ich einen Par­cours, der aus zwan­zig mehr oder weni­ger wei­chen Hin­der­nis­sen zusam­men­ge­stellt ist. Im »A-Lauf« bin ich durch eine Kon­takt­zo­ne gerutscht, also set­ze ich all mei­ne Hoff­nun­gen auf das »Jum­ping«. Ich habe noch drei Minu­ten Zeit, bevor mir der Kuchen im Ofen ver­brennt. Mit der lin­ken Hand grei­fe ich nach einer Rol­le Küchen­pa­pier (die rech­te benö­ti­ge ich, um im Lauf blind davon abzu­rei­ßen). Noch zwei Minu­ten. Ich schär­fe mir ein, vor kei­nem Hin­der­nis zu stop­pen, nicht seit­wärts aus- und mich vor allen Din­gen nicht zu erbre­chen, atme tief durch und ren­ne los …

© Johannes Willwacher